Der Birch Mountain mag mit einer Höhe von 2.062m vielleicht nicht zu den höchsten und beeindruckendsten Bergen auf dieser Erde gehören, dennoch ist er die weltweit höchste Erhebung auf einer Insel in einem Süßwassersee und damit trotz seiner Unbekanntheit etwas Besonderes. Text: Katja Wegerer, Bilder: Bernd Hofmaier…
Er liegt auf Teresa Island im Atlin Lake, einem 145 km langen, natürlichen See in der kanadischen Provinz British Columbia. Der einzige Zugang zum See ist die 500 Einwohner Ortschaft Atlin, die nur vom Yukon-Territory aus über eine einzelne 100 km lange Straße erreichbar ist. Der Atlin Lake wird durch den Llewellyn Glacier, einem Gletscher des Juneau Icefields, gespeist und gilt als Ursprung des Yukon Rivers.
Eines soll klar gestellt sein: Es ist gut möglich, dass schon vor uns jemand diesen Berg bestiegen hat, aber wir haben bei unseren Recherchen keine dokumentierte Besteigung gefunden – und nachdem wir diese Tour gemacht haben, würde es uns nicht mehr wundern, wenn sich das wirklich einfach noch niemand bisher angetan hat.
Tag 1:
Wir sind am Vorabend mit dem Boot auf Teresa Island angekommen und haben die erste Nacht im Zelt verbracht. Glücklicherweise endet der Lawinenschlauch, den wir als Start unserer Aufstiegsroute auserkoren haben, direkt neben einer kleinen Sandbucht inmitten von steinigem Ufer: Ein perfektes „Basislager“.
Während dem Frühstück packen wir die letzten Sachen in unsere Rucksäcke und Bernd’s Mutter hat die Idee eine leere Coladose mit ein paar Steinchen zu füllen, um sich Bären gegenüber bemerkbar zu machen – ich hätte nicht erwartet, dass ich diese Dose im Wald noch richtig schätzen werde. Auf geht’s! Wir schultern die Rucksäcke und gehen unter deren Gewicht etwas wackelig über das steinige Ufer zum Lawinenschlauch.
Die Weiden dort sind in den Jahren, nachdem die Lawine abging, doch wieder ordentlich gewachsen, da kommen wir auch mit der Machete nicht so einfach durch. Also ab in den Wald daneben. Wir wollen möglichst an der Grenze Wald zu Weidenbüschen bleiben, vielleicht werden die Weiden weiter oben etwas lichter und mit der Orientierung ist es so auch etwas einfacher.
Der fluffige Moosboden gibt ziemlich nach unter unseren Füßen, die abstehenden Äste der Fichten versperren einem teilweise den Weg, also gehen wir in kleinen Schlangenlinien bergauf. Zwischendurch kreuzen wir kleine, aber gut ausgetretene Pfade von Tieren – was hier alles so herumläuft, kann man grob an den Haufen abschätzen, die so hie und da am „Wegesrand“ liegen. Beim ersten Bärenhaufen werde ich doch ein bisschen nervös, ich greife zum ersten Mal zu meiner Dosenrassel. Der Wald wird dichter, wir haben uns schon ein gutes Stück vom Lawinenschlauch entfernt und kommen schlechter voran.
Bernd arbeitet sich langsam vor mir mit der Machete bergauf und ruft zwischendurch „Wo ist der Bär?“ in den Wald. Ich höre gespannt ob irgendwo ein Schnaufen oder Knacken als Antwort kommt. Nichts. Die Stille hier ist dumpf, unsere Geräusche kommen hier nicht weit – besonders wohl fühle ich mich in diesem Wald eindeutig nicht. Jedes Geräusch wird stark gedämpft, selbst meine Rassel wirkt hier irgendwie leise. Ich merke, dass auch Bernd nicht mehr ganz so entspannt ist. Zum Glück nähern wir uns langsam wieder den Weiden, die Sonne blinzelt zwischen den Bäumen durch und ich entspanne mich innerlich wieder, da wird kein Bär kommen, bei dem Krach, den wir machen.
Der Weg durch die Weiden ist eindeutig keine gute Idee, sie sind bereits zu hoch. Also wandern wir nach ein paar Höhenmetern doch wieder zurück in den Wald, hier scheint er etwas weniger dicht zu sein als weiter unten. An einer kleinen Lichtung machen wir eine kurze Pause und Bernd funkt seine Eltern an, die unten in der Bucht im Basislager sind. Laut GPS brauchen wir eine Stunde für 100 Höhenmeter, das ist alles andere als schnell.
Trotzdem arbeiten wir uns weiter vorwärts, dann halt eben langsam. Immer wieder liegen ganze Fichten kreuz und quer im Wald, Überbleibsel der Lawine, die hier auf einem Streifen von 80-90 Metern den gesamten Wald mitgenommen hat. Manchmal kommt man nur unter dem Wirrwarr an Bäumen und Ästen durch, manchmal nur oben drüber und manchmal muss man einfach weit genug ausweichen – fest steht: Unpraktisch mit einem großen Rucksack!
Wir bewegen uns einige Zeit ziemlich genau an der Grenze des Lawinenschlauchs den Wald entlang bergauf, machen doch wieder etwas mehr Höhenmeter. Langsam aber sicher wird alles rundherum dichter, der Wald und die Weiden. Nach einem weiteren kurzen Abstecher durch das Weidengebüsch beschließen wir, dass der Wald einfach besser sein muss, denn hier kommt man kaum durch. Der Wald sieht allerdings auch nicht einladender aus, die Fichten hier sind etwas niedriger, dafür aber wesentlich dichter als die älteren Bäume. Bernd bemüht sich, uns mit der Machete einen kleinen Weg zu hacken, ich bleibe trotzdem überall an den Ästen hängen und alles um uns herum wird irgendwie immer enger.
Ich kann nicht genau sagen, wie wir da mit den großen Rucksäcken durch gekommen sind – manchmal hatte ich das Gefühl, es sei gerade unmöglich umzufallen, so dicht wachsen die kleinen Fichten dort oben. Fast hätten wir in diesem extrem dichten Waldstück aufgegeben, aber nach einer Weile lichtete sich das Dickicht zum Glück doch wieder.
Wir kommen an den ersten kleinen Schneefeldern vorbei. Ein gutes Zeichen, wir haben die Baumgrenze also bald erreicht! Nachdem wir die letzten vereinzelt stehenden Bäume hinter uns gelassen haben, legen wir erleichtert eine Pause ein – das anstrengendste Stück ist geschafft.
Obwohl noch zum Teil von Büschen und Bäumen verdeckt, offenbart sich uns schon hier eine wunderschöne Aussicht auf den Atlin Lake. Seine Wasseroberfläche schimmert uns in sanftem Blau entgegen, die seichten Uferstreifen erstrahlen in sattem Türkis. Ich möchte am liebsten einfach hier sitzen bleiben, den Blick auf den See gerichtet, wissend, hier oben ist außer uns keine Menschenseele. Aber wir haben das Tagesziel noch nicht erreicht, wir sollten noch etwas weiter hinauf, bevor wir unser Nachtlager aufschlagen.
Also schultern wir noch einmal die Rucksäcke und marschieren weiter. Wir queren kleine Schneefelder, klettern über die Reste von Geröllmuren und ich greife von Zeit zu Zeit zu den kleinen Stauden am Boden, um mir eine leider noch nicht ganz reife, aber trotzdem gute, und vorallem frische Heidelbeere zu gönnen.
Die Schulter des Berghanges, bis zu der wir vom See aus sehen konnten, rückt näher. Der Plan ist, hinter diesem Hang nach einem Schlafplatz Ausschau zu halten, dort sollte es etwas flacher und windgeschützter sein. Als wir, doch schon etwas erschöpft, die Anhöhe erreichen, wird mir zum ersten Mal wirklich bewusst, wie riesig dieser Berg eigentlich ist – nicht auf die Höhe bezogen, sondern auf seine horizontale Ausdehnung. Teresa Island besteht im Prinzip nur aus dem Birch Mountain und seinen Ausläufern. Wir haben richtig geplant, eine von Hängen umringte Ebene mit einer kleinen Baumreihe liegt vor uns, ein perfekter Schlafplatz!
Wir bauen das Zelt und den Bärenzaun auf und beginnen den ersten Topf voll Schnee für unser Abendessen zu kochen. Der Zeltplatz ist durch die kleine Baumreihe zwar gut vor Wind geschützt, dafür versperren einem die Bäume die Aussicht in Richtung Atlin. Also gehen wir eben noch ein bisschen spazieren um der Aussicht willen, die Sonne scheint hier sowieso fast bis Mitternacht und gehen ohne Rucksack fühlt sich heute ein bisschen wie fliegen an.
Von hier aus sieht man sehr gut, wie abgelegen der Ort Atlin wirklich liegt. Eine kleine Ansammlung von Häusern inmitten kanadischer Wildnis, mit einer einzigen langen Straße als Verbindung zur Außenwelt. Davor erstreckt sich der Atlin Lake auf insgesamt 145 km Länge in zwei Richtungen: Einerseits in den Norden, mit dem markanten Mount Minto am Seeende und andererseits in Richtung Südwesten zum Llewellyn Glacier, dem Ursprung des Yukon. Der Gletscher ist in unserer derzeitigen Position noch vom Berghang des Birch verdeckt und ich bin schon wirklich gespannt auf die Aussicht morgen vom Gipfel!
Tag 2:
Der Morgen beginnt sonnig, aber recht kühl, daher brauche ich etwas, bis ich mich überwinden kann, aus dem Schlafsack zu kriechen. Bernd hat die Eigenschaft, sich sofort nach dem Aufwachen in einem unglaublichen Tempo anzuziehen und das Zelt zu verlassen. Manchmal geht mir das ziemlich auf die Nerven, heute bin ich relativ froh darüber, denn dadurch ist er schon dabei, Wasser für den Kaffee zu kochen, als ich mich im Schneckentempo aus dem Zelt bewege.
Nach dem ersten Becher Kaffee kehren auch langsam bei mir die Lebensgeister wieder zurück und ich mache mich daran die nächste Ladung Schnee zu kochen, wir brauchen noch Wasser für den Aufstieg zum Gipfel. Während der Kocher vor sich hin zischt, hänge ich die Schlafsäcke ein wenig in die Sonne zum Auslüften und Bernd wandert eine Runde um umser Camp – wie immer auf der Suche nach Tierspuren.
Das Frühstück lehrt mich wieder einmal, dass gute Vorbereitung definitiv Sinn macht. Ich habe mir ein „Farmer’s Omelett“ als morgendliche Mahlzeiten eingebildet und stelle natürlich erst jetzt fest, dass es hier nicht genügt, heißes Wasser in die Verpackung zu schütten und ein paar Minuten zu warten – nein, man sollte es eigentlich auch in einer Teflonpfanne anbraten.
Eigentlich klar bei einer Eierspeis, aber ich wäre nicht auf die Idee gekommen, dass man zum Zubereiten von Expeditionsnahrung eine Teflonpfanne im Gepäck haben muss! Wir haben natürlich nur einen kleinen Alu-Topf zum Schnee schmelzen dabei, für alles Andere genügt ja heißes Wasser. Also muss ich meine Eierspeis matschig essen, was soll’s, Hauptsache überhaupt ein Frühstück.
Wir leeren den Inhalt unserer Rucksäcke bis auf das Wichtigste in unser Zelt, aktivieren den Bärenzaun und machen uns weiter auf den Weg zum Gipfel. Nachdem wir den ersten Hang neben dem Zelt hinter uns gelassen haben, ersteckt sich vor uns eine riesige Hochfläche. Rechts davon erhebt sich sanft ein Grat, der auf der anderen Seite steil zum Atlin Lake abfällt und sich langsam bis zum Gipfel auf- und abschlängelt – das ist unsere Route.
Auf der linken Seite der Hochfläche grasen ein paar Karibus, sie schauen neugierig in unsere Richtung. Wir bewegen uns in etwa parallel zu ihnen vorwärts und aus der Senke am anderen Ende der Ebene tauchen immer mehr von ihnen auf. Wir bleiben stehen und versuchen sie zu zählen. Bernd zählt 13, ich 15 Tiere – also einigen wir uns darauf es muss eine Herde von 14 Tieren sein. Ein Muttertier mit seinem Jungen bewegt sich langsam in unsere Richtung und beobachtet uns genau. Die Tiere hier haben vermutlich noch nie einen Menschen gesehen, was sie sich wohl denken bei den beiden Gestalten, die da auf einmal auf ihrem Berg auftauchen?
Unsere ausgewählte Route ist zwar sehr angenehm zu gehen, stellt sich aber als Motivationskiller heraus. Der kalte Wind pfeift uns um die Ohren und immer wenn wir glauben, nach der nächsten Anhöhe endlich den Sattel zwischen Grat und Gipfelhang zu sehen, taucht dahinter eine weitere, etwas höhere Kuppe auf.
„Zwischen Grat und Gipfelhang“
Nachdem Bernd gefühlte 1000 Mal „Nach der Schupfn sehen wir jetzt aber wirklich hin!“ zu mir gesagt hat, ist es endlich soweit: Der Grat fällt leicht zu einem ausladenden Sattel ab, dahinter erhebt sich imposant die teilweise noch schneebedeckte Gipfelpyramide.
Von hier aus wird uns klar, dass der letzte Anstieg nur von Weitem den Eindruck vermittelt fest zu sein, stattdessen stehen wir aber vor einem 300 Meter hohen Schutthaufen. Große Gesteinsbrocken liegen kreuz und quer, teilweise stabil ineinander verkeilt, teilweise bilden sie aber auch nur eine lose aufliegende Schicht. Jeden Schritt mit Bedacht setzend arbeiten wir uns die letzten Meter aufwärts.
Bernd kommt als Erster oben an und versinkt gleich knietief in einem fest wirkenden Schneefeld – das typische Hoppala, denn ich filme ihn natürlich dabei. Als ich auch endlich auf dem kleinen Gipfelplateau ankomme, fange ich an breit zu Grinsen. Umringt vom blauen Wasser des Atlin Lakes stehen wir gerade wirklich am höchsten Punkt von Teresa Island!
Geröllhalden und der Gipfel
Im Nordosten ist Atlin nur noch als winzige Ansammlung von Häusern erkennbar, im Südwesten liegt vor uns die Aussicht auf unendlich wirkende Bergwelt mit dem beeindruckenden Llewellyn Glacier im Zentrum. Das Gefühl, hier oben zu stehen, nur wir beide, die nächste Ortschaft mit knapp 500 Einwohnern in 15 km Entfernung und dem Ausblick auf endlose Weiten unberührter Wildnis, war sämtliche Strapazen des Aufstiegs wert.
Am Rückweg erreichen wir relativ bald den Sattel, von dem wir gekommen sind, entscheiden uns hier aber nicht wieder über den Grat zurückzugehen, sondern weiter in den Kessel vor dem Gipfel abzusteigen, um von dort aus die komplette Hochebene in Richtung Zeltplatz zu queren. Wir steigen über ein großes Schneefeld in den Kessel hinunter und kreuzen eine breite Rinne voll mit Felsbrocken.
Die Geröllhalden in diesem Hang entpuppen sich als wesentlich unangenehmer als jene am Gipfelhang: Sie bestehen hier aus riesigen, losen Gesteinsplatten. Sobald man glaubt, eine stabile Position gefunden zu haben, beginnt sich der gesamte Boden um einen herum langsam nach unten zu bewegen. Diese Instabilität wird Bernd zum Verhängnis – eine der Platten gleitet schneller abwärts als der Rest, schlägt unsanft gegen sein Bein und bringt ihn dadurch zu Fall. Ich bekomme das alles erst mit, als er einen lauten Schrei von sich gibt und versuche so schnell wie möglich, aber gleichzeitig vorsichtig, zu ihm zu gelangen. Er hat sich beim Sturz das linke Knie verdreht und kann es kaum noch abwinkeln.
Es hilft nichts, wir müssen trotzdem weiter absteigen, zum Glück ist es nicht mehr weit hinunter in den Kessel und auf der Hochebene geht es recht flach dahin, dort sollte es dann besser gehen. Langsam bewegen wir uns die vorerst letzten Meter bergab und legen unten angekommen eine kleine Schonungspause ein. Der Marsch danach bis zurück zum Zeltplatz kostet uns extrem viel Zeit, umso glücklicher sind wir, als wir endlich dort ankommen.
Tag 3:
In der Nacht hatte es wohl Minusgrade, alles ist mit einer hauchdünnen, schimmernden Eisschicht überzogen. Ich setze mich auf eine meiner Gamaschen um meinen Hosenboden vor der Feuchtigkeit zu schützen und beginne Schnee für das Frühstück zu kochen. Bernd geht vorsichtig ein bisschen herum, er humpelt noch etwas, meint aber, sein Knie fühle sich besser an als am Vortag. Wir frühstücken, bauen Zelt und Bärenzaun ab und verstauen bis auf die Pickel wieder alles in den Rucksäcken – auch wenn wir nur noch vereinzelt Schneefelder queren müssen, der Pickel ist mit dem vielen Gepäck am Rücken eine angenehme Stütze beim bergab gehen.
Dichter Wald mit großem Rucksack
Wir sind keine zwei Minuten unterwegs, als Bernd wieder schmerzerfüllt zu schnaufen beginnt, sein Knie macht es ihm fast unmöglich, normal zu gehen. Besonders die in der mittlerweile schon kräftigen Sonne weich werdenden Schneefelder machen ihm zu schaffen – je tiefer er einsinkt, desto mehr muss er das Bein abbiegen und genau diese Bewegung verursacht den Schmerz. So kommen wir kaum voran, die ersten 50 Höhenmeter kosten uns eine volle Stunde.
Bernd bleibt keuchend stehen, meint er weiß nicht wie er es durch den Wald hinunter schaffen soll, wir haben immer noch 700 Höhenmeter Abstieg vor uns. Ich nehme ihm das Zelt ab und schnalle es auf meinen Rucksack um die Belastung auf sein Knie zu verringern. Ich habe keine bessere Idee, wie ich ihm helfen kann, obwohl ich die ganze letzte Stunde nur überlegt habe, wie ich ihn und die beiden riesigen Rucksäcke da jetzt runter bringen soll – der dichte Wald ist mit einem großen Rucksack schon mühsam genug.
Wir erreichen die Baumgrenze und Bernd tauscht den Pickel gegen die Machete. Ich würde ihm die Arbeit des Freihackens gerne abnehmen, aber ich bin alles andere als geschickt mit der Machete – wenn ich den Punkt treffe, den ich anvisiert habe, ist es reiner Zufall. Der moosige Boden des Waldes scheint für Bernd’s Knie etwas angenehmer zu sein, er beschleunigt seinen Schritt ein bisschen. Wir passieren erstaunlich schnell den dichtesten Teil des Waldes und obwohl wir immer in der Nähe unserer Aufstiegsroute unterwegs sind und sie auch manchmal kreuzen, kommt mir das Dickicht etwas lichter vor, als noch vor 2 Tagen. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass sich meine Gedanken nur darum drehen, ob es Bernd da heil hinunter schafft.
Als wir einem der gut ausgetretenen Tiefpfade für eine Weile folgen, stolpern wir über einen großen Bärenhaufen. Er hat in etwa den Durchmesser eines sehr stattlichen Kuhfladens und ich kann nur vermuten wie riesig das Tier ist, das so einen Haufen hinterlässt. Bernd meint nach einem prüfenden Blick: „Ein bis zwei Tage alt.“. Gut, der Bär ist vermutlich schon am anderen Ende von Teresa Island. Wir halten uns noch ein wenig an den Pfad, er ist angenehmer zu gehen als kreuz und quer durch den Wald. Mein Blick schweift regeläßig über den Boden, einerseits um nicht zu stolpern, andererseits um etwaige Spuren zu entdecken – und siehe da:
Im weichen Moos zeichnet sich klar eine mächtige Bärentatze mitsamt Krallen ab. Ich spüre, wie sich langsam doch ein bisschen die Nervosität in mir ausbreitet. Der Bär, der hier unterwegs war, ist eindeutig nicht von der kleinen Sorte – der Fußspur nach zu urteilen, muss es ein stattlicher Grizzly sein. Und wir marschieren hier vermutlich mitten durch sein Revier, zwei Menschen im Nirgendwo, einer davon auch noch mit einem verletzten Bein. Ich greife wieder öfter zu meiner Dosenrassel und versuche damit meine Gedanken zu beruhigen.
Plötzlich bleibt Bernd vor mir stehen, sein Blick fixiert einen weiteren massiven Bärenhaufen. Er dreht sich zu mir um und sagt: „Jetzt müssen wir aufpassen, der ist von heute!“. Mein Herz beginnt wilder zu schlagen als mir lieb ist und ich kontrolliere, ob das Bärenspray am Brustgurt meines Rucksacks griffbereit positioniert ist.
Wir erhöhen unser Tempo trotz Bernd’s Knieproblem und legen in den kommenden Stunden einiges an Wegstrecke zurück, Bär taucht dabei zum Glück keiner auf. Ich weiß wirklich nicht, wie Bernd diese Etappe in dieser Geschwindigkeit meistern konnte, ich selbst hatte trotz zwei gesunden Beinen ordentlich zu kämpfen. Immer wieder müssen wir über umgefallene Fichten klettern, teilweise geht es sehr steil bergab oder die Bäume stehen so dicht, dass man sich durch zwängen muss – alles mit ca. 20 kg auf dem Rücken.
Abstieg durch weglose Wildnis
Bernd checkt regelmäßig das GPS, da Orientierung auf Sicht unmöglich ist und meint wir müssten eigentlich bald den See erreichen. Diese Aussicht scheint ihn anzuspornen, denn er wird noch einmal etwas schneller. Ich versuche mitzuhalten, aber das Gewicht des Rucksacks, das immerhin fast die Häfte meines Eigengewichts ausmacht, zollt nach mehreren Stunden Abstieg durch weglose Wildnis seinen Tribut:
Ein übereilter Schritt im steilen Gelände, die dünne Moosschicht gibt unter meinem Fuß nach und ich habe Glück, mein Brustkorb bleibt nur knapp vor einem spitzen, lotrecht zu mir stehenden Ast stehen – den 10 cm langen, blutigen Kratzer am Bein bemerke ich vor lauter Erleichterung im ersten Moment gar nicht. Noch während ich versuche mich aus dem Wirrwar an Ästen, in das ich hinein geschlittert bin, zu befreien, höre ich Bernd’s erleichtertes Rufen: „Ich kann den See sehen, wir haben’s gleich geschafft!“.
Das letzte Stück legen wir fast im Laufschritt zurück und abrupt stehen wir am Waldrand, nur noch ein drei bis vier Meter hoher, fast senkrechter mit Latschen bedeckter Hang trennt uns vom steinigen Ufer des Atlin Lake. Ich höre an Bernd’s Stimme, dass er den Tränen nahe ist und ich kann nicht glauben, dass er den heutigen Weg mit seinem Knie durchhalten konnte. Bäuchlings rutschen wir über den bewachsenen Hang hinunter, marschieren überglücklich zurück zu unserem Zelt im „Basislager“, werfen die Rucksäcke auf den Boden und plumpsen in die Campingsessel, die Bernd’s Eltern schon für uns bereit gestellt haben.
Ich atme tief durch und beginne zu lächeln, wir haben es geschafft, wir haben die erste dokumentierte Besteigung des Birch Mountain gemeistert!
Mehr Infos unter: www.explore-the-wild.at
Infos und Adressen
Anreise & Reisezeit:
Die Fluglinie Condor bietet einen Direktflug von Frankfurt nach Whitehorse im Yukon Territory. In Whitehorse nimmt man sich einen Mietwagen um nach Atlin zu gelangen. Die ca. zweistündige Fahrt über 180 km führt einen entlang des Alaska-Highway, von dem man am „Jake’s Corner“ auf die Atlin Road, die einzige Verbindung in die kleine Ortschaft, abzweigt.
Die beste Reisezeit ist der nordkanadische Sommer, also die Monate Juni bis September. In dieser Zeit sind die Temperaturen angenehm und es gibt ausreichend Licht – im Winter gibt es täglich nur ein paar Sonnenstunden und durch den vielen Schnee ist Atlin manchmal mehrere Tage von der Außenwelt abgeschnitten.
Es empfiehlt sich trotz moderater Temperaturen im Sommer warme Kleidung, idealerweise nach dem Zwiebelprinzip, im Gepäck zu haben. Außerdem mit dabei sein sollte festes Schuhwerk, Regenjacke und robuste Outdoor-Bekleidung.
Die Umgebung um Atlin, insbesondere der Atlin Lake selbst, ist ein Paradies für Liebhaber der unberührten Natur.
Unterkünfte:
Tourenanbieter:
Heli-Wandern, Sightseeing-Flüge, Gletscherflüge:
Bootstouren am Atlin Lake, Raftingtouren:
Heliskiing:
Sonstiges: